19 Jan Überwachung rund um die „Uhr“?
Das Bedürfnis von Eltern zu wissen, wo ihre Kinder gerade sind und ob es ihnen gut geht, ist verständlich. Doch bieten GPS-Uhren für Kinder diese Sicherheit, vermitteln Sie lediglich das Gefühl davon, oder sind sie sogar schlecht für die Entwicklung? Wir haben darüber mit dem Fachlichen Leiter von MINIHAUS München, Diplompsychologe Günther Hanel, gesprochen und auch zwei MINIHAUS-Mütter dazu befragt.
Das kennen wohl die meisten Eltern: Der Nachwuchs ist alleine, oder auch mit Freunden unterwegs. Zur Schule, zum besten Freund, oder auch nur spielen auf dem nahegelegenen Spielplatz. Damit verbunden ist für viele Eltern oft die Sorge, ob die Kinder gut ankommen, ob es ihnen gut geht, ob sie sich überhaupt dort befinden, wo sie sein sollten. Mittlerweile ist das kein Problem mehr, dank GPS-Uhren für Kinder, die seit einigen Jahren auf dem Markt sind. Damit kann die Position der Kinder per Smartphone-App festgestellt werden, bei einigen Modellen kann das Kind – dank eingebauter SIM-Karte – sogar angerufen werden und selbst Anrufe an eingespeicherte Nummern tätigen. Doch wie sicher und vor allem: wie sinnvoll ist das?
„Meine Tochter soll mich anrufen können“
Die Tochter von Andrea W. hat eine solche Uhr. Sie ist mittlerweile acht Jahre alt und ein Schulkind. „Für mich und meine Tochter ist die GPS-Uhr ein Stück Sicherheit“, sagt die Mutter. Die Uhr sei an ihrem Handgelenk und sie könne benutzt werden, wenn sie Hilfe brauche. Doch der Grund für die Anschaffung war ein ganz praktischer: „Meine Tochter hat einen Schlüssel und geht nach der Schule alleine nach Hause, wo sie etwa eine halbe Stunde alleine ist, weil ich noch arbeite“, erzählt Andrea. Die Uhr habe sie für den Fall, dass in dieser Zeit etwas passiert, ihre Tochter beispielsweise den Schlüssel verliert. „Dann soll sie mich anrufen können“, so die Mutter. Ein Smartphone kam für Andrea nie in Frage, zu gefährlich im Straßenverkehr durch die Nutzung von Apps.
„Es kann durchaus sinnvoll sein, dem Kind durch eine Smartwatch mehr Sicherheit zu vermitteln, damit es in bestimmten Situationen nicht überfordert ist und Hilfe holen kann“, sagt Günther Hanel. Der Diplompsychologe und Kinder- und Jugendpsychotherapeut ist Fachlicher Leiter bei MINIHAUS München. Doch eine ständige Überwachung bedeute, dem Kind zu signalisieren, dass man ihm nicht vertraue und auch nicht viel zutraue. Kinder bräuchten eben dieses Gefühl des Vertrauens, dies sei elementar für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes. Ständig überwachen will Andrea ihre Tochter keinesfalls. Die GPS-Funktion der Uhr nutzt sie nicht: „Ich finde das Verfolgen von Kindern über diese Funktion schlimm“, betont sie.
Lernen mit Risiken und Gefahren umzugehen
Es sei eine wichtige Entwicklungsaufgabe von Kindern, mit zunehmendem Alter zu lernen, mit Risiken umzugehen, betont Hanel. Dazu gehöre auch, Gefahren zu erkennen, auf diese angemessen zu reagieren, in konkreten Gefahrensituationen besonnen zu handeln und auch zu lernen, sich Hilfe zu holen. Viel wichtiger als die Überwachung per GPS-Uhr sei es, mit Kindern in vertrauensvollen Gesprächen über mögliche Risiken altersangemessen zu reden, Unsicherheiten zu besprechen, sinnvolle Regeln aufzustellen und Absprachen zu treffen.
„Alle Erfahrung zeigt, dass man Kinder am besten schützt, wenn man sie stark macht und ihnen altersangemessene Freiräume zugesteht, die es den Kindern ermöglichen, sich zu einer selbstständigen und selbstbewussten Persönlichkeit zu entwickeln“, so Hanel. Überbehütung und lückenlose Kontrolle stärken diese Entwicklung sicher nicht.
Das Vertrauen in Menschen geht verloren
Uta Iltsche, deren Sohn in eine Einrichtung des MINIHAUS München geht, sieht GPS-Uhren für Kinder kritisch. „Es gehen wichtige Wertvorstellungen verloren, wie beispielsweise, dass man in Menschen Vertrauen haben kann“, so die Mutter. Eine Einschätzung, die auch Günther Hanel teilt: „Kinder brauchen das Gefühl, dass die Welt grundsätzlich in Ordnung ist“. Nur so könnten sie ein Vertrauen in ihre Umwelt entwickeln, was für die Entwicklung eines Kindes von zentraler Bedeutung sei. Das bedeute aber nicht, den Kindern zu verschweigen, dass es Risiken und Gefahren gebe. Altersangemessene und vertrauensvolle Gespräche können hier helfen, dass Kinder lernen, Risiken und Gefahren zu erkennen, ohne das Gefühl zu entwickeln, dass überall Unheil lauert.
Eine Smartwatch könne hier bestenfalls eine temporäre technische Unterstützung sein, so Hanel, ersetze aber in keinem Fall die notwendigen Gespräche und auch die Erfahrungen, die Kinder im Umgang mit Gefahren machen.
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